PRIIP-RTS 2023: Ein Standard - viele Herausforderungen
29.04.2022
Mit den jüngst verabschiedeten Anpassungen in den technischen Regulierungsstandards (RTS) der PRIIP-Verordnung (engl.: Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) steht der Finanzbranche eine große regulatorische Veränderung ins Haus.
Nach derzeitigem Stand müssen alle Akteure, für die die PRIIP-Verordnung bereits gilt, die Änderungen zum 1. Juli 2022 umsetzen. Für Verwaltungsgesellschaften, Investmentgesellschaften und Personen, die über Anteile von Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) beraten oder diese verkaufen, wurde die Ende 2021 auslaufende Ausnahmeregelung bis zum 31. Dezember 2022 verlängert.
Dies bedeutet mitunter grundlegende Veränderungen und prozessbezogene Anpassungen für die Anbieter derartiger Finanzprodukte. Die Herausforderungen liegen insbesondere bei der Methodik und Präsentation der Performance-Szenarien, der Darstellung der Kosten und der Methodik zur Berechnung des Gesamtkostenindikators. Dazu kommen angemessene Prozesse, um die Richtigkeit, Redlichkeit und Klarheit dieser Informationen sicherzustellen.
Wesentliche inhaltliche Anpassungen
Die PRIIP-Verordnung sieht die Bereitstellung eines Basisinformationsblattes (BIB) für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte vor. Während das BIB von vielen PRIIP-Herstellern bereits erstellt wird, löst es bei OGAW die bisher erstellten Wesentlichen Anlegerinformationen (WAI) ab. Dabei unterscheidet sich das BIB bezüglich des Inhalts, der Struktur und des Umfangs signifikant von den WAI. Aus den WAI bleiben die Angaben zur früheren Wertentwicklung für OGAW-Fonds und Alternative Investment Fonds erhalten. Diese Informationen sollen jedoch über eine Referenz außerhalb des BIBs auf einer Website oder in einem separaten Dokument bereitgestellt werden.
Höhere Komplexität bei Berechnungen der Kennzahlen
Wie bisher klassifizieren die RTS PRIIPs in vier Kategorien und fordern die Angabe von vier Performance-Szenarien und des Gesamtrisikoindikators (Summary Risk Indicator; kurz: SRI). Je nach Kategorie werden unterschiedliche Berechnungsmodelle wie etwa die Bootstrap-Monte-Carlo-Simulation, ggf. mit vorgeschalteter Hauptkomponentenanalyse, die Cornish-Fisher-Erweiterung und weitere Verfahren vorgegeben.
Die umfangreichsten Veränderungen wurden bei der Berechnungsmethode der Performance-Szenarien für Finanzinstrumente der Kategorie 2 vorgenommen. Bisher wurden diese mit Hilfe einer Berechnungsmethode ermittelt, die ähnlich der Methode des SRI war. Nun fordert die jüngste Anpassung der RTS für drei Performance-Szenarien (optimistisch, moderat, pessimistisch) ein neues und deutlich aufwendigeres Berechnungsmodell; das Stress-Szenario hingegen beruht weiterhin auf der bisherigen Berechnungsmethode.
Mögliche Inkonsistenzen durch die verschiedenen Berechnungsmethoden innerhalb dieser Kategorie antizipiert der Gesetzgeber durch die Vorgabe, dass die annualisierte Rendite des Stress-Szenarios niemals besser sein darf als die des pessimistischen Szenarios. Dass dieser Sachverhalt praxisrelevant ist, zeigt die Berechnung in Abb. 1.
Zudem wurden die für die Berechnung der Performance-Szenarien notwendigen historischen Preisdaten auf die empfohlene Haltedauer plus 5 Jahre, jedoch mindestens 10 Jahre, erhöht. Zwar kann eine nicht ausreichende Historie wie bisher mit einem geeigneten Benchmark (Vergleichs-Index) oder einem Proxy (Stellvertreter-Finanzinstrument) aufgefüllt werden. Die Herausforderungen bezüglich der Datenbeschaffung steigen jedoch in jedem Fall.
Gänzlich neu ist die Hinzunahme der sog. Mindestanlagerendite als Ergänzung der Performance-Szenarien. Hierbei fordern die RTS die Darstellung der garantierten Mindestrendite; wobei der Garantiebegriff nicht im engeren Sinne interpretiert werden sollte. Vielmehr fällt darunter die produktspezifische Bestimmung aller bedingungslosen Ansprüche des PRIIP-Investors, so z.B. unbedingte Kupons.
Auch bei der Berechnung der Transaktionskosten gibt es beachtenswerte Anforderungen im Hinblick auf eine Übergangsregelung für OGAW-Fonds und AIFs. Bis Ende 2024 besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen der sogenannten New-PRIIP- und der Arrival-Price-Methode. Allerdings ist es vorteilhaft auf diese Wahlmöglichkeit zu verzichten und die Arrival-Price-Methode bereits jetzt anzuwenden, um schon jetzt mit dem Aufbau der geforderten dreijährigen Historie zu beginnen. Dadurch können Inkonsistenzen in der Ausweisung der Transaktionskosten durch den Wechsel der Methode zum 1. Januar 2025 vorgebeugt werden.
Höhere Anforderungen an das Datenmanagement
Um die Richtigkeit, Redlichkeit und Klarheit der Angaben im BIB zu gewährleisten, sehen die Regularien schon bisher eine regelmäßige Prüfung vor. Bei hinreichend signifikanten Änderungen ist das BIB zu aktualisieren. Die oben angesprochenen neuen Erfordernisse verlangen zumindest die Modifizierung bestehender, wahrscheinlicher aber die Etablierung neuer Prozesse und stellen zusätzliche Anforderungen an die Datenbeschaffung, -verarbeitung und -speicherung.
Ohne spezialisierte Systeme sind die erforderlichen Prozesse allein durch die Vielfalt der möglichen Änderungen kaum abzubilden. So erfordert z.B. eine Änderung in der Anlagestrategie, eine signifikante Änderung des SRI innerhalb eines Vier-Monats-Zeitraumes oder eine Abweichung der durchschnittlichen Rendite für das mittlere Performance-Szenario um mehr als 5 Prozentpunkte die Erstellung eines neuen BIBs.
Dazu kommen qualitätssichernde Maßnahmen, die zur Einhaltung der Regulatorik erforderlich sind. Dies veranschaulicht Abb. 2, die den oben dargestellten Sachverhalt der vertauschten Szenarien aufgreift. Zwischen beiden Berechnungen liegt lediglich ein Monat. Dies verdeutlicht, dass sich die Qualität der Berechnungsergebnisse sehr kurzfristig verändern kann.
Die dargestellten Anpassungen der PRIIP-RTS 2023 stellen die mit der regulatorischen Pflichtdokumentation befassten Akteure in allen Phasen des Bereitstellungsprozesses vor große Herausforderungen.
Insbesondere zeigt sich, dass die genannten Veränderungen auf Grund ihrer Komplexität mitunter hohe Rechenleistungen erfordern. Zudem werden diese prozessbedingt nicht kontinuierlich, sondern nur börsentäglich und in einem kurzen Zeitfenster benötigt. Klassische IT-Systeme sind hier – nicht nur, aber hauptsächlich – auf Grund hoher Investitions- und Betriebskosten insbesondere für kostensensitive PRIIP-Hersteller herausfordernd, so dass sich moderne Cloud-Lösungen anbieten.
Im Sinne der Dokumentationsanforderungen ist das BIB nur ein weiteres Dokument in einer Reihe anderer (Pflicht-) Dokumente, das für den Vertrieb von PRIIP erforderlich ist. Allen Dokumenten gemein sind die ähnlichen Anforderungen an Daten, Prozesse und Qualitätssicherung, so dass es sich für die Finanzmarktakteure anbietet, den Erstellungsprozess aus ganzheitlicher Sicht zu betrachten und in einem Dokumentenmanagementsystem abzubilden.
Autor: Marcus Klein, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb der Content Software und verantwortlicher Ansprechpartner für Software-Lösungen und -Services im Investment Research und in der regulatorischen Pflichtdokumentation. © Content Software
Den Original-Artikel (veröffentlicht am 14.04.2022) finden Sie in: gi Geldinstitute